Historische Kleidung im Damensattel

Der Wandel historischer Reitkleidung durch die Jahrhunderte  ist ein buchfüllendes Thema. Die meisten modernen Reiterinnen interessieren sich aber hauptsächlich deswegen dafür, weil sie sich mit der Anfertigung oder dem Kauf eines historischen Reitkostümes  einen Traum erfüllen möchten. Für sich persönlich, als Teil eine Showprogrammes oder als historisches Statement.



Ein Tipp: Sinnvoll ist es, ein fiktives Alter Ego zu basteln und anhand dieser Person Gewand und Ausstattung zusammenzutragen. Eine erfundene oder reale historische Persönlichkeit als Vorbild für die eigene Ausstattung an seiner Seite zu haben, bringt so ein Projekt erstaunlicherweise sehr schnell weiter in Richtung großer Authentizität.

Und versprochen: Unterhaltsam ist es auch!

Ein paar Gedanken um Grundsätzliches, die man sich machen sollte, bevor frau sich für ein Kostüm entscheidet:
Was war es denn, das Reiten im Seitsitz?
Es war Notwendigkeit – bei den schlechten Straßen z.B. des Mittelalters oder der Renaissance war ein Fortkommen in den zudem ziemlich ungefederten Wagen fast unmöglich, also musste man, so man einen hinreichend großen Vierbeiner zur Verfügung hatte, auf dessen Rücken sitzen.
Schon in dieser Epoche, aber insbesondere in späteren Jahrhunderten war es ein Renommieren auf bestens ausgebildeten, oft sehr wertvollen Pferden.
Und nach dem Umbruch der Französischen Revolution (also in „dem“ Damensattel- Jahrhundert, dem 19. Jhdt.) war es sportliche Betätigung, Ausbruch aus den biedermeierlichen Normen, das englische „zurück zur Natur“ mit Ausritten, Jagden und dem Beginn der Sportreiterei. Gleichzeitig wurde das Renommieren zur „Promenadenreiterei“, also einem gesellschaftlichen Ereignis, bei dem Schick und Schau im Vordergrund standen.

RID Reiten im Damensattel Historische Kleidung

Wer ritt im Seitsitz?
Reittiere waren in der Regel eher eine kostspielige Angelegenheit, demnach konnte es sich auch nur ein gut betuchter Herr leisten, seiner Frau ein solches zur Verfügung zu stellen. Folgerichtig wird also in den vorrevolutionären Jahrhunderten generell eher eine adlige Dame dargestellt werden, mit entsprechend teurer, kostbarer und aufwändiger

Gibt’s eine Epoche, in der ich den Rock über die Kruppe des Pferdes ausbreiten darf?
Nein. Zumindest nicht im Seitsitz.
Selbstverständlich sind immer wieder Darstellungen (besonders Staatsgemälde aus Renaissance und Barock) zu sehen, auf denen Röcke so liegen, aber Vorsicht! - das sind Schleppen von Kleidern, deren Trägerin im Spreizsitz reitet.
Sehr interessant bei Velazquez’ lebensgroßen Darstellungen zweier Königinnen aus dem Jahre 1635: Isabella von Bourbon, links, und Margarita di Austria, unten. Beide tragen Kleider, die durch riesige Schabracken geschützt keine vordere Rockkante erkennen lassen, sondern im Bogen verlaufen – ein eindeutiges Zeichen für einen übers Pferd statt unter den Reiterinnenpopo gelegten Rock.


Isabella sitzt dabei absolut eindeutig im Spreizsitz, schon allein angesichts des hochaufragenden Sattelknaufes. Bei Margarita dagegen könnte man mit reichlich gutem Willen sogar einen Seitsattel vermuten, da ihr linksseitiges Knie doch recht hoch liegt – aber dann würde sie, für ihre Epoche, wunderbar „modern“ ausgerichtet und wohlbalanciert sitzen – angesichts barocker Seitsättel und Korsette bleibt das eher Spekulation.
Gab es eine Epoche ohne Kopfbedeckungen?
Nein. Zumindest, wenn ich keine Darstellung einer mittelalterlichen Hübschlerin plane. Eine Dame hatte immer und zu allen Zeiten außer Haus eine Kopfbedeckung auf, und eine adlige Dame erst recht. Und daran rüttelte auch die Französische Revolution nicht ein bisschen: Auch eine moderne bürgerliche Dame saß im 19. Jahrhundert niemals unbehütet und mit flatterndem Haupthaar zu Pferd.

RID Reiten im Damensattel,

Gab es eine Epoche ohne Korsette?
Nein. Leider. Und das ist sicherlich der einzige Anachronismus, den wir uns als moderne Damensattelreiterinnen leisten sollten. Das Reiten mit Korsett ist auch schon in den historischen Epochen als gefährlich angesehen worden; und die schönste Taille rechtfertigt es nicht, sich in der Beweglichkeit und im Aktionsradius einzuschränken.

 

Die verschiedenen Epochen

Mittelalter - Hochmittelalter und Gotik, etwa 12. bis 15. Jahrhundert

RID Reiten im Damnesattel

Getragen wurde, was dem Anlass entsprach, wobei offenbar wenig Unterschied gemacht wurde, ob man diese Tätigkeit zu Fuß oder zu Pferde ausführte. Eine wirkliche Reitkleidung ist für das Mittelalter nicht überliefert; es wurde zu prunkvollen Gelegenheiten und dazu zählte die höfische Jagd ebenfalls, sogar die kostbare Hoftracht getragen.
In den Farben sollte man sich am mittelalterlichen Kodex orientieren, der zum Beispiel fahlgelb den Hübschlerinnen und Juden zuwies. Rosa war eindeutig eine gerne getragene Farbe, und ansonsten fast jede andere Farbe auch. Je leuchtender und tiefer der Ton, desto wertvoller und kostbarer der Stoff. Beispielsweise trugen Bauern neben Braun und Grau auch Stoffe aus fahlem Blau, gefärbt mit dem billigen heimischen Färberwaid, während der Adel sich die teuren königsblauen Indigo-gefärbten Textilien leisten konnten. Einleuchtend, dass alle Pastelle demnach unbeliebt waren, sahen sie doch „billig“ aus.


Violett war weitgehend dem Klerus vorbehalten und auch ansonsten gab’s mehr Kleiderordnungen als Untertanen, die sie befolgten. Bereits die schiere Vielzahl dieser Dekrete lässt erahnen, dass man (und frau) es mit ihnen recht lässig nahm – sonst hätte man nicht immer wieder neue Verordnungen konzipieren müssen.

Modefalle: Schnürungen sind für Mittelalterkleider NICHT typisch; eigentlich wurden zumeist kleine Kugelknöpfe oder Haken und Augen als Verschlüsse benutzt. Schnürungen sieht man vermehrt in einer frühen Teilepoche (vor der Erfindung körpernaher Schnitttechniken), um Kleidung an den Körper anzulegen, danach aber nicht mehr sehr häufig außer in der Kleidung unterer Schichten und auf Ritterturnieren des 20. Jahrhunderts.

Renaissance - Mitte des 15. und das gesamte 16. Jahrhundert

Es gibt kaum eine inhomogenere Zeit in der Mode als die Renaissance. Während in Frankreich noch die prächtige und üppige spätmittelalterliche burgundische Mode blühte, gab es in Italien bereits die von der Antike beeinflussten leichten, schmalen Frührenaissancekleider. Während in der Hochrenaissance in Spanien und den von ihnen beeinflussten Niederlanden die strenge, steife, zeremonielle schwarze „spanische Mode“ vorherrschte, trug man in Deutschland farbenfrohe, regional geprägte, prächtige und üppige Kleidung. In England kamen die ebenso üppige, aber in den Formen und Details deutlich andere „Tudormode“ auf, die ihre höchste Prachtentfaltung in der Elisabethanischen Zeit erfuhr. Nichts war zu kostbar, um es zu Kleidung zu verarbeiten oder an der Kleidung zu tragen; Goldbrokate, Samte, Seiden, Pelze, verschwenderische Ausstattung mit edelsteinbesetzten Schmuckstücken, all das finden wir auf Gemälden von Cranach, Holbein oder ihren Zeitgenossen.


Wie weiter oben schon anklang: Damen zu Pferde auf Staatsporträts geben nicht unbedingt ein repräsentatives Bild aller reitenden Damen dieser Zeit wieder, sie sind aber natürlich bildlich sehr gut belegt, und sie geben auch auf heutigen Veranstaltungen mindestens ein genauso beeindruckendes Bild ab, wie es auch bei der damaligen Inszenierung geplant war.

Ob es zur Zeit der Renaissance schon eigene Reitkleidung für Damen gab, ist bei den Experten strittig. Zumindest übernimmt die Outdoor- und Jagdkleidung Elemente der Herrenkleidung (ausgehend von „Jagdhütchen“, die zunächst einmal das Kleid zum Jagdkleid aufpeppten), so dass im Verlauf dieser Epoche erstmals eine Jacke (Wams)-Rock-Kombination zum Reiten genutzt wird. Eine Kombination, die allerdings auch ganz normal als Frauenkleidung getragen wurde, also noch kein Beweis dafür ist, dass diese maskuline Variante eines Kleides eine eigene Reitkleidmode darstellt.

Es ist also auch durchaus möglich, ein historisches Renaissancegewand zu entwerfen, in dem man mehr Bewegungsfreiheit hat als in der großen Prachtrobe, und für das man nicht die nächstgelegene Filiale der Bank of Scotland überfallen muß.

Modefalle: Bei der Kopie eines Staatskleides erhält man die hinreißende Wirkung leider nur, wenn man sich an dieselben Regeln hält, wie das die Renaissancefürsten getan hatten: schwere, teure Materialien und verschwenderische Fülle an Dekoration. Weniger ist hier nicht mehr, sondern eben nur zu wenig. Das macht ein solches Renaissance- oder Frühbarockkleid zu einer der kostspieligsten Arten, historisch im Seitsattel zu sitzen.

Barock und Rokoko

Diese beiden Epochen werden gerne mal untereinander gemischt, sie gehen auch durchaus fließend ineinander über, aber gerade deshalb ist Vorsicht geboten! Man sollte tunlichst vermeiden, Kleidungselemente, die fast hundert Jahre auseinander liegen, an eine einzige Reiterin zu packen. Vieles, was heutzutage als „Barockkostüm“ durch die Lande reitet, hätte bei einer Dame dieser Epoche sicher zu hysterischen Kicheranfällen geführt.

Dröseln wir erst einmal die Definitionen auf: Das Barock teilt sich in drei große Bereiche, von denen wir im Folgenden das normalerweise reiterlich selten dargestellte Frühbarock mal außen vorlassen (Zeit ab 1600 bis ca. 1680, zur modetechnischen Orientierung: bis in die 1630er Jahre eher der Spätrenaissance zugehörig (s.o.), sind die Jahre zwischen 1640 und 1680 grob gesagt die Zeit der Mühlsteinkragen und Musketiers). Bleiben noch zwei Teilepochen, die erstaunlich logischerweise Hoch- und Spätbarock heißen.

Hochbarock

Betrachten wir zunächst einmal das Hochbarock, die Zeit des Sonnenkönigs Ludwig des XIV., bis in die 1720er Jahre. Die Jacken „Justaucorps“ und darunterliegenden Westen der Herren sind lang und oft noch sehr militärisch aussehend, mit riesigen Ärmelaufschlägen und verschwenderischem Gold- oder Silbertressenbesatz oder ebensolcher Gold- und Silberstickerei. Die Farben sind kräftig leuchtend oder dunkel, auch mal cremefarben, auf alle Fälle aber klar und nicht pastellig. Und da die Reit- und Jagdkleidung der Damen sich seit der Spätrenaissance ja an der Herrenkleidung orientiert, sieht die adlige reitende Madame auch genau so aus: Justaucorps, Weste, bodenlanger Rock ohne Schleppe. Die Materialien sind jagdtauglich, haltbar und schwer, die Farben leuchtend, das Ganze ist prächtig und praktisch. Was auch bedeutet: Spitzen kommen nicht vor, zumindest nicht an den Ärmeln! Spitzen waren so exorbitant teuer, dass sie der Darstellung des Reichtums dienten und als Schmuck Diamanten ersetzen konnten, und die wurden definitiv nicht auf dem Pferd verheizt - allenfalls die Halsbinde trug Spitzenabschlüsse. Ein veritabler, nicht zu kleiner Dreispitz gehörte natürlich auch dazu.


Modefalle: im Hochbarock gibt’s keine Spitzenjabots, sondern lediglich Halsbinden. Das ist ein langer Streifen aus feinstem Leinen, um den Kragen gewickelt wurde, und dessen Enden aus Spitze bestehen konnten. Besonders schick war’s, wenn sie lässig („al la Steinkerke“) um den Hals geschlungen und eventuell am Ende noch durch ein Knopfloch gezogen wurde.

Rokoko

An das Hochbarock schließt sich das Spätbarock, bzw. genauer das Rokoko an, das fast das gesamte 18. Jahrhundert einnimmt und bis zur Französischen Revolution 1789 andauert. Es ist reiterlich besonders bedeutend, da genau hier François Robichon de la Guérinière lehrte (bis zu seinem Tode 1751), auf den sowohl jeder Barockreiter als auch mittelbar die gesamte Reitertradition der FN zurückgreift.

Im Verlauf dieser sieben Jahrzehnte entwickelt sich eine heitere, leichte Lebensart, die sich auch in der Mode niederschlägt. Die Gesellschafts-/ Hofkleidung wird pastellfarben, mit vielerlei bunten Seidenstickereien. Wir sehen Spitze in Hülle und Fülle, gepuderte, aber auch viele ungepuderte Perücken, Francaisenkleider mit ihren exaltierten querovalen Reifröcken und den hinreißend derangiert „flatternden“ Watteau-Falten-Rücken oder kurze „Polonaisen“, die (wie aufregend!) die Knöchel sehen ließen, und die das wiedergaben, was man sich im eleganten, höfischen Frankreich unter der Kleidung einer polnischen Schäferin vorstellte. Die Dekolletés sind größer denn je, und die vorn flachen Korsette drücken alles, was ihre Trägerin so zu bieten hat, in schönster Kugelformin diese Schaufensterauslage hinein. Herrlich – damit lässt sich doch auch für eine Damensattelkür ordentlich Furore machen!

Doch – sind die frivolen Rokoko-Dämchen frivol genug, um mit diesen Kleidern aufs Pferd zu klettern? Richtig geraten: nein, sind sie nicht. Wieder haben wir eine eigene Reit- und Jagdkleidermode. Und wie sieht die wohl aus?
Wieder richtig geraten: wie die Jagdkleidung der Herren. Also wieder mal praktische Farben, praktische Materialien, zurückhaltende Verzierungen; wenig oder keine Spitze. Die Schnitte sind weit entfernt von den Kleiderschnitten; sondern die nun schon altbekannte Dreierkombination aus Justaucorps (nun aber deutlich knapper, taillierter und kürzer als im Barock), Weste und knöchellanger Rock. Unter den Rock kommen seitliche Pads – es könnte ja mal sein, dass man vom Pferd runtersteigt, und dann soll einen keiner ohne die modische seitlich ausladende Rockform erwischen. Und der Dreispitz ist natürlich auch wieder dabei, nun aber ebenfalls deutlich kleiner und bei trés elegantes dames (wir würden heute „fashion victims“ sagen) nur noch als kleines Alibi-Hütchen auf der Frisur befestigt.

Modefalle: die Spitzenjabots sind NICHT extra um den Hals gebundene Lätzchen aus gerüschter Spitze, sondern ein am vorderen Schlitz des Hemdes rüschig eingesetzter Spitzenbesatz, der dann wasserfallartig übereinanderfiel. Je weiter wir zum Ende des 18. Jahrhunderts kommen, desto eher ist dieses Jabot auch bei Adelskleidung nicht aus Spitze, sondern aus dem feinen Leinenbatist des Hemdes gefertigt.

Empire - Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die 1820er Jahre

Das plüschige Rokoko ist tot, es lebe die klassische Antike! Diesem Motto getreu trugen die Damen immerzu leichte, weiße „Hemdkleider“, die Chemisen, so wie man sich die antike griechische Mode halt von den Marmorfriesen und –skulpturen so vorstellte. Heute wissen wir, dass diese quietschbunt gewesen waren, bevor Wind und Wetter den weißen Marmor freilegten, aber das ahnte man vor zweihundert Jahren nicht, und so verkühlte sich eine ganze Generation modebewusster Damen fast zu Tode im Banne der Antikensehnsucht. Die Kleider waren aus feinsten weißen Batisten, und lediglich farbige Überkleider und kurze Spenzerjäckchen boten etwas Schutz vor Ein- und Durchsicht und dem Erfrierungstod. 
Und diese Mode machte auch vor der reitenden Dame nicht Halt. Es wurden tatsächlich auch zu Pferde die gleichen leichten Kreationen getragen wie auf dem Boden; gegen das Herumflattern durch weiter oben beschriebenen Riemen gesichert. Die langärmligen Jäckchen waren gerne fantasievoll „a la Hussarde“ dekoriert und sollten den schneidigen Schick dieser Haudegen-Reitertruppe auf die modebewusste reitende Dame übertragen.

RID Reiten im Damensattel, Kleidung im Empire

Im Empire zeigte sich übrigens erstmals der Wechsel der Vormachtstellung in Mode und Geschmack von Frankreich nach England. Die Engländerinnen, bereits im vergangenen Jahrhundert wesentlich vernünftiger in puncto Kleidung als ihre französischen Cousinen, machen diese exaltierte Mode in deutlich abgeschwächter Form (als „Regency“) mit. Dem englischen Pragmatismus sowie dem englischen Dauerregen Rechnung tragend, waren die Stoffe und Schnitte dieser Kleider wesentlich wetterfester als der kontinentaleuropäische Flatterkram.

Sehr gute Eindrücke davon bekommt man in den historisch sehr getreuen BBC-Verfilmungen der Jane-Austen-Romane.

Modefalle: Wer Empire/Regency darstellen will, muß sich leider von der Taille verabschieden – unbedingt vorher mal mit einem billigen Musterkleid ausprobieren, bevor man das teure Kostüm schneidert. Reiterlich hat die Empiremode wohl eher anekdotischen Wert…

19. Jahrhundert  - Biedermeier, Historismus, Gründerzeit

RID Reiten im Damensattel, Reitkleidung im 19. Jahrhundert

Das Jahrhundert der Damensattelreiterinnen! Reiten wird Breitensport! Und der Abschied von Prunk und Farbe wird endgültig… Nachdem es noch einigermaßen spannend und originell im Empire losgegangen war, wurden die Reitkleider nun zunehmend dunkel und mehr und mehr dem modernen Reithabit ähnlich. Es gab immer eine weiße Bluse zur meist dunklen Jacke-Rock- Kombination und einen Hut; lediglich die Form dieser Elemente variierte.
Und die Form wurde damit zum wichtigsten Utensil, um „schick“ von „Sack“ zu unterscheiden. Topaktuelle Silhouette und Details, edelste Tuche und ein absolut tadelloser Sitz waren nun die Prüfsteine, an denen sich die modebewusste Reiterin messen lassen musste.


Da diverse Bilder und Originalschnitte aus Modezeitschriften erhalten sind, lässt sich in diesem Jahrhundert wirklich problemlos aus jeder erdenklichen Modeströmung ein passendes Reitkostüm recherchieren:
 Vom Biedermeier ausgehend, erweiterten sich die Röcke in der Krinolinenzeit (ca. 1865) immer mehr und die Taille wurde zunehmend immer zierlicher geschnürt, die Jacken endeten in kleinen Schößchen. Die Röcke zum Reiten wurden bauschig, mit Unterröcken und in deutlicher Überlänge getragen – im Gelände definitiv nicht ungefährlich.
Zum Jahrhundert-Ende hin wurden die Jacken immer schmaler unterhalb der Taille, bis hin zur lang ausgezogenen Form der „Küraß-Taille“, die wie eine Kürassier-Rüstung die Trägerin von der Taille bis zu den Hüften umschloss. Auch die Röcke verloren deutlich an Volumen und Länge und es wurden echte Reitröcke entwickelt mit komplizierten Schnitten, die zwei Ausbuchtungen besaßen und so einen faltenlosen Sitz des Rockes über den Sattelhörnern ermöglichten. Aus diesen Jacken und den zugehörigen Röcken entwickelte sich bis in die 1920er Jahre dann das moderne Habit; auf Reitschürzen mussten die Amazonen allerdings nicht ganz so lang warten, die ersten gab es in England bereits vor der Jahrhundertwende.

Modefalle: Schon aus dem Rokoko, aber ganz besonders aus dem 19. Jahrhundert sind eine Fülle an Originalschnitten überliefert. Die Schnittführung war in den Epochen vor dem 20. Jahrhundert deutlich anders als unsere heutigen modernen Konstruktionstechniken, teilweise wurden Körperproportionen auch ganz bewusst verändert und verfälscht - insofern geht ein umfunktionierter moderner Schnitt leider nicht, auch wenn er noch so gut gemeint ist!

Aber wie gesagt, es gibt ja die Originale!

Historische Kleidung der Pferde

Generell war das Pferd genauso dem Zeitgeschmack entsprechend ausgestattet wie seine Reiterin.

Beim Körperschmuck des Pferdes geht die Bandbreite von diversen reichgeschmückten Vorder- und Hinterzeugen in Mittelalter und Renaissance, über schleifenverzierte Zaumzeuge und Mähnen sowie tressenbesetzte Brokatschabracken in Renaissance und Barock bis hin zu dem unserem modernen Equipment vergleichbaren, schlichten Lederzeug des 19. Jahrhunderts.

Der kreativen Phantasie sind besonders in den frühen Jahrhunderten wenig Grenzen gesetzt - man sollte sich aber auf alle Fälle an historischen Abbildungen orientieren statt überbordende Eigenkreationen zu entwickeln. Weniger, und dafür qualitätvoll, ist hier sicherlich meist mehr.

Was aber machen wir mit unserem Reitzaum, an den das Pferd gewöhnt ist, weil es damit täglich gearbeitet wird? Gute Nachricht: sooo unhistorisch ist der gar nicht, zumindest der Basiszaum als solcher. Was heißt, dass auch für eine Barock/Rokokodarstellung nicht umgehend sofort ein kostspieliger Barockzaum hermuss.

Modefalle: Das Hannoversche Reithalfter ist definitiv eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, das Kombinationshalfter ist noch mal gut hundert Jahre jünger, ganz zu schweigen vom flaschenzugartigen schwedischen Reithalfter. Ein authentisches Bild für die meisten Epochen ergibt entweder ein „nackerter“ Kopf, oder aber ein englisches Reithalfter, und auch die spanischen Zäume sehen heute noch so aus wie vor 250 Jahren - sie haben zudem noch den Vorteil, dass ihnen meistens historisch korrekt der Kehlriemen fehlt.

Übrigens, wirklich historisch wäre in den Epochen vor dem 19. Jahrhundert eigentlich nur das einhändige Reiten auf blanker Stange, während das reine Trensenreiten hingegen eine englische Erfindung des 19. Jahrhunderts ist, aber das führt dann natürlich wirklich zu weit…

Meilensteine der Kostümgeschichte

1828 Erfindung der Metallösen. Schnürungen an allen historischen Kostümen vor diesem Datum werden durch im Knopflochstich gestickte Nestellöcher geführt.
1885 Erfindung des Druckknopfes, 1903 wird er erst serienreif. Alle historischen Kostüme vor diesem Datum werden gehakt oder geknöpft.
1913 Erfindung des ersten funktionsfähigen Reißverschlusses, das Modell “Plako Fastener” der Firma “Automatic Hook and Eye Company”. Alle historischen Kostüme vor diesem Datum werden anders geschlossen. ... auch an versteckten Stellen.
1951 Erfindung des Klettverschlusses („Velcro“) Alle historischen Kostüme vor diesem Datum müssen ohne ihn auskommen.
1980er Erfindung des bi-elastischen Pannesamtes.

Samt gibt es schon seit dem 13. Jahrhundert, auch gepresste „Spiegel“- oder „Panne“-Samte sind historisch, aber der unkaputtbare Vollpolyester-Elastiksamt NICHT.

Zum Schluss ...

Erschreckt? Muß denn Reiten im Kostüm wirklich so kompliziert sein?

Keine Bange, das ist es gar nicht! Wenn man sich erst einmal ein bissel einliest und in „seine“ Lieblingsepoche versenkt, dann gewinnt so ein Projekt ganz von alleine zunehmend an Fahrt und Eigendynamik, versprochen! Und dafür, dass wir Reiterinnen uns täglich stundenlang um das Perfektionieren unserer Reitkunst bemühen, haben wir es auch verdient, dass wir in einem ebenso tadellosen Erscheinungsbild vor unser Publikum treten.

Der himmelweite Unterschied zwischen historisch angehauchten „So-tun-als-ob“-Kostümen und einer guten, authentischen historischen Kopie fällt auch einem unvoreingenommenen Zuschauer sofort ins Auge.

Wenn dann ein harmonisches Bild entsteht aus einem gelösten, durchlässigen, am Seidenfädchen gerittenen Pferd mit einer Reiterin, die im exakt angepassten, schwer fallenden, bis ins Detail stimmigen Reitkostüm, selbstbewusst und vor allem kokett bis strahlend lächelnd über den Platz schwebt – dann erwischen sowohl Zuschauer als auch die Reiterin selbst ein Zipfelchen von dem, um das es hier geht: Geschichte.

RID Reiten im Damensattel e.V.

RID - Reiten im Damensattel e.V.

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